Umgang mit Schulschwänzern
Problemstellung
Die Zahl der Schüler, die dem Unterricht ohne Entschuldigung fernbleiben, erreicht insbesondere in Hauptschulen und Berufsschulen mit sog. Jungarbeiterklassen ohne Ausbildungsverhältnis eine nicht unbeträchtliche Größe.
Im folgenden soll versucht werden, pädagogische und schulrechtliche Wege nachzuzeichnen, mit denen diese Schüler wieder für die Schule „gewonnen“ werden können.
Dabei dürfen keine Patentlösungen erwartet werden, sondern lediglich Hinweise auf erprobte Reaktionsmöglichkeiten, mit denen in vielen Fällen mit Aussicht auf Erfolg gearbeitet werden konnte.
Rechtliche Ausgangssituation
Das Verhältnis des Schülers zur Schule ist z.B. gemäß § 69 Abs. 1 des Hess. Schulgesetzes als öffentlich-rechtliches Rechte- und Pflichtenverhältnis ausgestaltet (Anm. 1). Dieses verpflichtet den Schüler u.a., regelmäßig an allen verbindlichen Unterrichts- und sonstigen Schulveranstaltungen teilzunehmen. Dies gilt nicht nur in dem Zeitraum, innerhalb dessen er der gesetzlichen Schulpflicht unterliegt (Anm. 2), sondern für die gesamte Dauer seiner Zugehörigkeit zu einer Schule. Allerdings knüpfen etwaige zwangsweise Durchsetzungsmöglichkeiten des regelmäßigen Schulbesuchs an die Schulpflicht an, so daß im Einzelfall zunächst zu prüfen ist, ob der betreffende Schüler noch der Schulpflicht unterliegt.
Pädagogische Möglichkeiten
Bevor bei einem Schüler, der ohne Entschuldigung der Schule fernbleibt, zu rechtsförmlichen Maßnahmen gegriffen wird, empfiehlt sich - gleichsam im Vorfeld - schon aus Nachweisgründen in späteren Verfahren die Durchführung einer Reihe von nicht näher geregelten Maßnahmen.
Zunächst sollte, sofern der Schüler nur zeitweilig dem Unterricht ohne Entschuldigung fernbleibt, versucht werden, im Wege einer gesprächsweisen Kontaktaufnahme mit ihm und/oder seinen Erziehungsberechtigten den Grund für sein Fernbleiben in Erfahrung zu bringen. Sofern dies gelingt, könnte zumindest in Einzelfällen der Versuch erfolgreich sein, seine Motivation zum regelmäßigen Schulbesuch durch geeignete pädagogische Maßnahmen wieder zu erhöhen.
Sofern dies - in der Regel bei "Dauerschwänzern" - nicht möglich oder erfolgversprechend sein sollte, sind der Schüler oder, sofern er noch minderjährig ist, seine Erziehungsberechtigten schriftlich (Anm. 3) unter Hinweis auf das unentschuldigte Fehlen zum Schulbesuch aufzufordern, bzw. seine Erziehungsberechtigten aufzufordern, für einen regelmäßigen Schulbesuch zu sorgen oder das Fernbleiben vom Unterricht unter Angabe des Grundes zu entschuldigen.
Sofern diese Maßnahme ebenfalls erfolg- oder reaktionslos geblieben ist, sollten der Schüler oder bei Minderjährigkeit seine Erziehungsberechtigten innerhalb einer Frist von ca. einer Woche nach dem ersten Schreiben erneut angeschrieben werden. In diesem zweiten Schreiben sollte auf die Rechtswidrigkeit des unentschuldigten Fehlens wegen Verstoßes gegen die Schulpflicht und auf die bei unverändertem Verhalten mögliche Einleitung eines Bußgeldverfahrens mit der gebotenen Deutlichkeit hingewiesen werden (Anm. 4).
Sofern auch auf dieses Androhungsschreiben innerhalb einer Frist von maximal einer Woche keine befriedigende Reaktion erfolgen sollte, sind die schulinternen Reaktionsmöglichkeiten als erschöpft anzusehen.
Exkurs: Zweifel an Entschuldigungen wegen Krankheit
Sofern allerdings - spätestens zu dem letztgenannten Zeitpunkt (Anm. 5) - das bisherige Fehlen durch Vorlage einer entsprechenden Entschuldigung erklärt werden sollte, wäre formal das Fernbleiben vom Unterricht entschuldigt. Allerdings dürften derartige nachträgliche Entschuldigungen häufig - nicht nur wegen der zeitlichen Abfolge - eher mit gewisser Skepsis entgegenzunehmen sein.
In derartigen Fällen empfiehlt sich folgende Vorgehensweise:
Die Erziehungsberechtigten sind auf die künftige Rechtzeitigkeit von Entschuldigungen im Krankheitsfall schriftlich (Anm. 6) hinzuweisen.
Sollten künftig Entschuldigungen wiederum verspätet vorgelegt werden oder sonst zweifelhaft sein, ist die Schule berechtigt, nach vorheriger erfolgloser Androhung für jeden krankheitsbedingten Fehltag eines Schülers eine ärztliche Bescheinigung zu verlangen, in der die krankheitsbedingte Schulunfähigkeit attestiert wird.
Bereits mit dieser Maßnahme lassen sich häufig erkennbare Erfolge (Anm. 7) in der Wiederherstellung eines regelmäßigen Schulbesuchs erzielen.
Sollte diese Maßnahme jedoch ebenfalls, z.B. wegen Zweifelhaftigkeit der ausgestellten ärztlichen Bescheinigungen (Anm. 8), sich als nicht erfolgreich erweisen, wäre die Schule schließlich auch berechtigt, nach vorangegangener (erfolgloser) Androhung bei jedem krankheitsbedingten Fehltag die Vorlage eines Amts- (= Schul-) ärztlichen Attestes zu verlangen.
Spätestens mit dieser - ausdrücklich als Ultima ratio zu verstehenden - Maßnahme läßt sich in der Regel der gewünschte Erfolg erzielen, sofern bisherige Krankmeldungen nicht zutrafen.
Sofern jedoch durch den Amts- (Schul-) Arzt keine Bestätigung der Erkrankung erfolgen sollte, wäre die Schule berechtigt, weitergehende Maßnahmen in dem nachfolgend geschilderten Rahmen zu ergreifen.
Weiteres Verfahren
In einer Vielzahl von Fällen werden jedoch trotz entsprechenden Mahnungen und Androhungen weiterer Schritte nicht nur keine Entschuldigungen vorgelegt, sondern das Fehlen ohne erkennbare Reaktion fortgesetzt, so daß der Schule keine weiteren internen Möglichkeiten zur Verfügung stehen.
Schulzwang
In den meisten Bundesländern (Anm. 9) besteht dann die Möglichkeit, den die Schulpflicht verletzenden Schüler im Wege des Schulzwanges der Schule zuführen zu lassen. Diese Maßnahme ist jedoch in der Regel wenig erfolgversprechend.
Denn mit dieser Maßnahme könnte zwar das Erscheinen des Schülers für den Tag der Zwangsanwendung durchgesetzt werden, sofern damit aber eine Veränderung seines Verhaltens bewirkt werden sollte, müßte das Verfahren alltäglich neu durchgeführt werden, um einen regelmäßigen Schulbesuch sicherzustellen.
Ein anderes Ergebnis wäre nur dann zu erwarten, wenn auf Grund bestehender sozialer Bindungen allein durch das Verfahren eine Verhaltensänderung einträte, was jedoch nur in überschaubaren – eher ländlichen – Strukturen zu erwarten sein dürfte.
Dieses Verfahren dürfte daher schon wegen des damit verbundenen Aufwands wenig praktikabel sein; darüber hinaus ist zweifelhaft, ob durch eine zwangsweise Vorführung zur Schule eine inhaltlich nur ausreichende Motivation zur Teilnahme am Unterricht erreicht werden kann.
Wegen dieser insbesondere auch pädagogischen Bedenken besitzt diese Möglichkeit keine große praktische Bedeutung.
Verfahren nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz
Praktisch häufiger und erfolgversprechender ist demgegenüber die Einleitung eines Ordnungswidrigkeitverfahrens.
Voraussetzung hierfür ist, dass der Schüler nach Gesetz schulpflichtig ist (Anm. 10).
Voraussetzung ist ferner, dass gegen die vorgenannte Schulpflicht durch unentschuldigtes Fernbleiben verstoßen worden ist, wovon - wie eingangs bereits festgelegt - auszugehen ist.
Danach ist zu entscheiden, gegen wen gegebenenfalls ein Bußgeldverfahren eingeleitet werden soll.
Sofern der Schüler jünger ist als 14 Jahre, ist er ordnungswidrigkeitsrechtlich nicht verantwortlich (Anm. 11), so dass eine Ordnungswidrigkeitsanzeige nur gegen seine Erziehungsberechtigten möglich ist; in diesen Fällen ist eine Anzeigeerstattung sowohl gegen die Mutter als auch gegen den Vater - jeweils getrennt - möglich. Die Entscheidung, gegen wen Anzeige erstattet werden soll, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, d.h., wer für den regelmäßigen Schulbesuch zu sorgen hat. Dies kann – insbesondere bei Schülern ausländischer Nationalität – häufig auch das „Familienoberhaupt“ oder der Elternteil sein, der üblicherweise die Kontakte zur Schule wahrnimmt.
In der Altersgruppe der Schüler über 18 Jahre ist eine Anzeigeerstattung wegen Wegfalls der Erziehungsberechtigung der Eltern nach Eintritt der Volljährigkeit nur noch gegen den Schüler selbst möglich.
In der Altersgruppe zwischen 14 und 18 Jahren ist eine Anzeigeerstattung sowohl gegen die Erziehungsberechtigten als auch gegen den Schüler möglich. Die konkrete Entscheidung ist auch hier von den Umständen des Einzelfalls abhängig; d.h., eine Anzeigeerstattung gegen die Erziehungsberechtigten wird jedenfalls dann sinnvoll sein, wenn das Fehlen nach den Erkenntnissen der Schule mindestens auch auf die Haltung und/oder mangelnde Einwirkung der Eltern zurückgeht, wobei das Fernhalten von der Schule durch die Eltern vorsätzlich oder fahrlässig erfolgt sein kann.
Ein Vorgehen auch oder allein gegen den bußgeldmündigen Schüler empfiehlt sich immer dann, wenn nach den Erkenntnissen der Schule das Fehlen überwiegend auf sein eigenes Verhalten zurückgeht (Anm. 12) oder die Einwirkungsversuche und -möglichkeiten der Eltern gescheitert sind (Anm. 13).
Immer dann, wenn die Schule sich nach erfolgloser Durchführung der internen Schritte zu einer Weiterverfolgung des Schulversäumnisses entschieden hat, hat sie bei dem zuständigen Staatlichen Schulamt Anzeige wegen Schulpflichtversäumnis zu erstatten.
Zur Erstattung der Anzeige sind folgende Angaben zwingend erforderlich :
- Name und Vorname des Beschuldigten (Schüler/Vater oder Mutter),
- Vollständige Anschrift des Beschuldigten,
- Angabe der gesetzlichen Vertreter (bei minderjährigen Schülern),
- genaue Bezeichnung der Tat (Zeitraum und Umfang),
- zugrunde liegende Rechtsnormen,
- Beweismittel (Zeugen: Lehrer, Urkunden: Mahnschreiben),
- Unterschrift des Schulleiters.
Sollten einzelne Angaben oder Anlagen fehlen, kann das Verfahrens seitens des Staatlichen Schulamtes nicht durchgeführt werden; um verfahrensverzögernde Rückfragen zu vermeiden, ist daher bereits bei der Anzeigeerstattung auf Vollständigkeit zu achten.
Das Staatliche Schulamt wird nach Eingang der Anzeige eine Vorprüfung auf Stichhaltigkeit und Vollständigkeit der Unterlagen vornehmen, um bei Unklarheiten bei der Schule rückfragen zu können.
Sofern die Unterlagen vollständig sind und die sonstigen Verfahrensvoraussetzungen gegeben sind, wird das Staatliche Schulamt dem Betroffenen/bzw. seinen gesetzlichen Vertretern schriftlich Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem gegen ihn eröffneten Ordnungswidrigkeitsverfahren geben (sog. Anhörung).
Damit hat der Betroffene (= Vater/Mutter oder Schüler) die Möglichkeit, eventuell vorhandene Entschuldigungsgründe oder sonstige Verfahrenseinwände vorzubringen.
Gehen innerhalb einer Äußerungsfrist von 10 bis 14 Tagen keine oder nur unbeachtliche Einwände ein, wird das Staatliche Schulamt einen Bußgeldbescheid erlassen und diesen den Betroffenen förmlich zustellen.
Dieser Bescheid enthält neben dem gesetzesbezogenen Vorwurf eine Entscheidung über das zu entrichtende Bußgeld, die Verfahrenskosten und sonstige Auslagen.
Gegen diesen Bescheid kann der Betroffene (ggf. durch seine gesetzlichen Vertreter) innerhalb einer Frist von zwei Wochen beim Staatlichen Schulamt Einspruch einlegen, über den dann - sofern das Staatliche Schulamt dem Einspruch nicht selbst abhilft - das Amtsgericht - in der Regel nach einer mündlichen Verhandlung - entscheidet.
Sofern der Einspruch verfristet eingelegt wird, ist das Staatliche Schulamt nach § 69 Abs. 1 OWiG berechtigt, diesen als unzulässig zu verwerfen; bei einem fristgerechten Einspruch hat das Staatliche Schulamt eine erneute Sachprüfungspflicht, innerhalb derer es weitere Ermittlungen – insbesondere zum Inhalt des Einspruchs - anstellen kann, danach kann es das Verfahren entweder einstellen oder muss es an die Staatsanwaltschaft abgeben, die dann ihrerseits nach erneuter Sachprüfung das Verfahren dem zuständigen Amtsgericht vorzulegen hat.
Sinn des Verfahrens
Bei Durchführung eines solchen streng formalisierten Verfahrens wird der schulinterne Bereich erkennbar überschritten und eine allgemeine, d.h. in allen Lebensbereichen übliche Sanktionsform gewählt (Anm. 15). Mit derartigen Verfahren sollen Gesetzesverstöße möglichst zeitnah, ohne Einschaltung von Gerichten, durch Verwaltungsbehörden (hier das zuständige Staatliche Schulamt) geahndet werden, der so Sanktionierte ist damit nicht vorbestraft.
Ziel dieser - wie jeder anderen - Sanktion ist vorrangig, den Betroffenen künftig zu einer Verhaltensänderung zu bewegen, insoweit stellt dieses Verfahren eine durchaus pädagogische Methode dar.
Besonders erfolgversprechend sind dabei die Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren. Dabei ist zwar verfahrensrechtlich zunächst die Ausweisung eines bestimmten Geldbetrages, der sich an der Dauer der Fehlzeit und gegebenenfalls auch einer eventuellen Wiederholungstäterschaft orientiert, erforderlich; sofern der Jugendliche erwartungsgemäß und beabsichtigt im Laufe des Verfahrens erklärt, er könne das Bußgeld nicht bezahlen, wird dies als Antrag auf Festsetzung einer Ersatzmaßnahme nach § 98 OWiG zu werten sein, über den dann das Amtsgericht (Jugendgericht) entscheidet.
Dieses setzt nach einem vom Gericht selbst entwickelten Schlüssel anstelle des Bußgeldes in der Regel eine Arbeitsauflage in einem bestimmten Stundenumfang in einer gemeinnützigen Einrichtung fest. Die Ableistung dieser Arbeitsauflage (z.B. in Altersheimen o.ä.) wird vom Amtsgericht als Vollstreckungsbehörde überwacht und nach Erledigung dem Staatlichen Schulamt mitgeteilt.
Mit dieser Maßnahme, die in der Freizeit der Jugendlichen vollstreckt wird, gelingt es in vielen Fällen, die Regelmäßigkeit des Schulbesuchs wesentlich zu erhöhen; insoweit kann auch ein sonst der Schule sehr fern liegendes und nicht primär für den pädagogischen Bereich entwickeltes Verfahren als pädagogische Chance begriffen und genutzt werden.
Dabei soll nicht verkannt werden, dass die notwendige Verfahrensdauer von mindestens 2 Monaten zwischen Anzeigeerstattung und Erlass des Bußgeldbescheides dem pädagogischen Prinzip einer möglichst zeitnahen Reaktion auf das Fehlverhalten widerspricht.
Sich aus diesem Grund von der Einleitung solcher Verfahren abhalten zu lassen, hieße jedoch, die vorhandenen pädagogischen Möglichkeiten dieses Verfahrens ungenutzt zu lassen, was letztlich zu Lasten des einzelnen Schülers ginge.
So verstanden, dient auch die Durchführung von Bußgeldverfahren wegen Schulpflichtverletzungen der Wahrnehmung des schulischen Erziehungsauftrags.
Anmerkungen:
Anm. 1
vgl. hierzu Avenarius, Schulrechtskunde Kap.24.1 m.w.Nw.
Anm. 2
In Hessen neun Jahre gemäß § 59 Abs. 1 HSchG
Anm. 3 mit Durchschrift für die Schülerakte
Anm. 4
ebenfalls mit Durchschrift für die Schülerakte
Anm. 5
oder generell
Anm. 6
wiederum mit Durchschrift für die Schülerakte
Anm. 7
evtl. auch "Gesundungseffekte"
Anm. 8
sog. "Gefälligkeitsatteste"
Anm. 9
z.B. gem. § 68 HSchG
Anm. 10
vollzeitschulpflichtig z.B. nach §§ 58 ff oder berufsschulpflichtig nach §§ 62 ff HSchG
Anm. 11
vgl. § 1 JGG.
Anm. 12
z.B. wenn ihn die Eltern ordnungsgemäß zur Schule schicken, er aber andere Wege geht.
Anm. 13
bezüglich des hier zu erwartenden Einwurfs, der Schüler habe kein Geld, vgl. unten
Anm. 14
Die Zuständigkeit des Staatlichen Schulamtes kann - im Gegensatz zu Bundesländern, bei denen die allgemeinen Verwaltungsbehörden zuständig sind – den pädagogischen Möglichkeiten dieses Verfahrens wesentlich eher Rechnung tragen.
Anm. 15
nicht nur des Straßenverkehrs