Möglichkeit der Information über schulische Auffälligkeiten volljähriger Schüler an deren Eltern

- Ein Diskussionsbeitrag -Dr. Wolfgang Bott[1] und Christian Schmidt[2]
Die schrecklichen Ereignisse im Gutenberg-Gymnasium in Erfurt sind Anlass zur Frage, welche Möglichkeiten des Informationsaustausches über Auffälligkeiten Schule und Elternhaus bei volljährigen Schülern (noch) haben. In diesem Zusammenhang sind sowohl Erziehungsfragen als auch juristische Rahmenbedingungen zu diskutieren. Dabei ist selbstverständlicher Kern jeder Erziehungsarbeit sowohl der Schule als auch des Elternhauses, dass zum einen die Schule ein Vertrauensverhältnis zu den Schülern schaffen und erhalten muss, das die volljährigen Schüler ausdrücklich einzuschließen hat, und zum anderen, dass die Eltern zu ihrem volljährigen Kind ein solches Vertrauensverhältnis schaffen und erhalten müssen. Denn nur dort, wo ein Vertrauensverhältnis besteht, kann über Probleme des volljährigen Schülers mit ihm gesprochen werden und können Lösungen für diese Probleme gefunden werden. Insoweit können rechtliche Regeln nur ergänzende Hilfestellung leisten.
Nachfolgend sollen sowohl die bestehende Rechtslage bezüglich des schulischen und elterlichen Erziehungsrechts kurz dargestellt und denkbare Lösungsansätze vorgestellt werden.
 
Bundesrechtliche Möglichkeiten
Die Ausübung des in Art.6 Abs.2 GG normierten elterlichen Erziehungsrechts, das durch die Regelungen der §§ 1626 ff. BGB näher konkretisiert wird, und des aus Art.7 Abs.1 GG abgeleiteten schulischen Erziehungsrechtes bedarf wechselseitiger Information über alle wesentlichen, die, Erziehungsarbeit berührenden Punkte. Dies ist durch verschiedene Bestimmungen ausdrücklich vorgesehen (vgl. z.B. die Informationspflicht der Schule bei drohenden Leistungsabfällen gemäß § 72 HSchG i.V.m. § 17 Abs.2 VOGestSchV; vgl. auch die Rechtsprechung des BVerfG zu den Schulberatern im BremSchVwG[3]). Diese wechselseitigen Informationspflichten setzen jedoch den Fortbestand des elterlichen Erziehungsrechtes voraus. Dieses Erziehungsrecht erlischt mit der Vollendung des 18. Lebensjahres, so dass diese Möglichkeit des Informationsaustauschs ohne Zustimmung des nunmehr volljährigen[4] Schülers prinzipiell nicht mehr gegeben ist. Hinzu kommt, dass der Volljährige jetzt unmittelbar und ausschließlich das ihm aus Art.2 Abs.1 und 1 Abs.1 GG zustehende Recht auf informationelle Selbstbestimmung[5] ausüben darf[6].
Nach der bestehenden Rechtslage endet damit die Möglichkeit der Informationsweitergabe seitens der Schule an die Eltern mit dem Zeitpunkt der Vollendung des 18. Lebensjahres.
Insoweit könnte die z.Zt. diskutierte Heraufsetzung des Volljährigkeitsalters auf 21 Jahre einen Lösungsansatz bieten. Dies würde jedoch eine Änderung des § 2 BGB erfordern, die dem Bundesgesetzgeber vorbehalten ist[7].
Denkbar wäre statt dessen auch die Einführung eines elterlichen Informationsrechts auch bei volljährigen Schülern durch Schaffung eines zivilrechtlichen Heranwachsendenstatus entsprechend den Regelungen der §§ 1 Abs.2 2.HS 105, 106 JGG, um unter bestimmten Voraussetzungen (z.B. drohende Nichtversetzung, Schulverweis o.ä. bedeutsamen schulischen Ereignissen) die Eltern volljähriger Schüler noch unterrichten zu können.
Auch insoweit bedürfte es jedoch einer bundesrechtlichen Regelung.
 
Landes- oder schulrechtliche Möglichkeiten
Ausgehend von diesen bundesrechtlichen Vorgaben sind schulrechtliche Lösungen der Bundesländer[8] (sowohl durch einfaches Landesrecht oder umgesetzter KMK-Vereinbarungen), die eine eigenständige Informationspflicht der Schule auch bei volljährigen Schülern vorsehen, ausgeschlossen.
Als denkbare Ansätze innerhalb des bestehenden Rechtsrahmens kommen folgende Möglichkeiten in Betracht:
Es wird an jeder Schule im Wege einer Vereinbarungskultur zwischen den gerade volljährig gewordenen Schülern, deren Eltern und der Schule vorgesehen, dass die Schule berechtigt ist, die Eltern der volljährigen Schüler über alle wesentlichen Entscheidungen wie Nichtversetzungen oder Nichtzulassungen oder Schulverweise zu informieren. Eine solche Vereinbarung würde inhaltlich ein allgemein erteiltes Einverständnis des volljährigen Schülers zur Informationsweitergabe an seine Eltern darstellen.
Eine solche Regelung hätte den Vorteil, dass sie freiwillig und ohne große Regelungsvorgaben umgesetzt werden könnte und wahrscheinlich die meisten Schüler erreichen würde. Damit wäre gleichzeitig die Möglichkeit eröffnet, sich der Schüler, die sich einer solchen Vereinbarung nicht anschließen wollten, im Einzelfall gezielter anzunehmen, indem ihnen im Wege der "Nachsorge" Beratungen über Schullaufbahn oder Berufswahl oder Betreuung durch Schulpsychologen oder Beratungslehrer konkret angeboten werden könnten.
Daneben könnte die schon jetzt bestehende Verpflichtung der Schule, den Eltern volljähriger Schüler Bescheinigungen über den Schülerstatus ihrer Kinder auszustellen, die diese zur Vorlage beim Arbeitgeber[9], der jeweiligen Kindergeldstelle oder dem Finanzamt[10] benötigen, gezielter als bisher genutzt werden. Bezieht der Schüler Leistungen nach dem BAföG, so ist die Ausbildungsstätte nach § 9 BAföG verpflichtet, dem zuständigen Amt für Ausbildungsförderung den Abbruch der Ausbildung unverzüglich mitzuteilen. Der Rechtsgedanke dieser Regelung, dass staatliche Leistungen nur dann gewährt werden dürfen, wenn der Empfänger die Voraussetzungen dafür auch erfüllt, lässt sich auf die staatlichen Leistungen Familienzuschlag, Kindergeld oder steuerliche Freibeträge ohne weiteres übertragen. Insoweit erscheint eine Verpflichtung der Schulen denkbar und mit den bestehenden Regeln vereinbar, in Fällen des Wegfalls oder der Beendigung des Schulverhältnisses (z.B. durch Abmeldung des Schülers oder Verweisung im Rahmen einer Schulordnungsmaßnahme), die Auswirkungen bezüglich des Familienzuschlages der Kindergeldberechtigung oder der steuerrechtlichen Einstufung der Eltern haben, die Eltern durch entsprechende Mitteilung über diese Veränderung - allerdings ohne Angabe des Grundes - durch eine entsprechende Bescheinigung zu informieren.
Eine solche Mitteilung würde den Eltern gegenüber ihrem volljährigen Kind die Möglichkeit zur konkreten Nachfrage eröffnen, womit gemeinsame Ansätze zur Problemlösung gefunden werden könnten.
Beide Möglichkeiten ließen sich im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Vorgaben umsetzen und sollten sinnvollerweise miteinander kombiniert werden, um möglichst vielen möglichen Problemen begegnen zu können.
Damit würde zwar keine perfekte Lösung erreicht, den Schulen aber die Chance geboten, in auftretenden Einzelsituationen besser reagieren zu können, sowie den Eltern die Möglichkeit der Nachfrage und Einflussnahme erleichtert.
 
Möglichkeiten der Eltern
Den Eltern kann aber auch aus einem anderen rechtlichen Aspekt ein Informationsrecht gegenüber ihren volljährigen Kindern zustehen. Gemäß § 1610 Abs.2 BGB sind die Eltern verpflichtet, ihren Kindern Unterhalt einschließlich der Kosten zu einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf zu gewähren. Diese Unterhaltspflicht endet mit dem Abbruch der Ausbildung durch das volljährige Kind[11]. Insoweit besteht für die Eltern ein allgemeiner Auskunftsanspruch nach §§ 1605, 242 BGB, dem eine Verpflichtung des Kindes zur unaufgeforderten Information über die für den Unterhaltsanspruch wesentlichen Umstände, z.B. den Abbruch der Ausbildung[12] gegenübersteht. Verstößt das Kind gegen diese Pflicht, so erwächst den Eltern für den Fall, dass sie Unterhalt leisten, obwohl die Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind, ein Bereicherungsanspruch für ohne Rechtsgrund gezahlten Unterhalt gemäß §§ 812 ff. BGB[13]. Des weiteren kommt auch ein Schadensersatzanspruch der Eltern gegen das Kind nach § 826 BGB in Betracht[14]. Ausgehend von dieser Rechtslage können die Eltern die regelmäßige Vorlage einer einfachen Schulbescheinigung, sinnvollerweise im halbjährlichen Rhythmus verlangen. Kommt das volljährige Kind diesem Verlangen nicht nach, werden sie berechtigt sein, eigene Ermittlungen anzustellen. Die datenschutzrechtlichen Bestimmungen[15] stehen in diesen Fällen einer Weitergabe nicht entgegen, da insoweit die Durchsetzung rechtlich schützenswerter Interessen (d.h. gesetzlich vorgesehener Ansprüche) nicht aus Gründen des Datenschutzes erschwert oder gar vereitelt werden darf.
 
Unbeschadet dieser Lösungsansätze ist jedoch für beide (ehemaligen) Erziehungsträger gegenüber volljährigen Schülern und/oder Kindern die Bereitschaft erforderlich, weiterhin Verantwortung übernehmen zu wollen, was unter Umständen einen Bewußtseinswandel voraussetzt.
 
[1] Der Autor ist im Hessischen Kultusministerium tätig.[2] Der Autor ist als Amtsjurist im Stadtschulamt Frankfurt am Main tätig.[3] Urteil vom 9. Februar 1982 – 1 BvR 845/79 – BVerfGE 59, 360.[4] Siehe § 2 BGB.[5] BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 – 1 BvR 209/93 u.a. – BVerfGE 65, 1.[6] Bis zur Volljährigkeit üben die Eltern dies als gesetzliche Vertreter aus. Aus diesem Rechtsinstitut ergibt sich die Befugnis, zu erfahren, welche Informationen erhoben und gespeichert werden.[7] Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergibt sich aus Art.73 Nr.5 GG.[8] Die Gesetzgebungskompetenz der Länder ergibt sich insoweit aus Art.70 Abs.1 GG.[9] Z.B. zur Feststellung der Höhe des Familienzuschlages nach § 40 BBesG.[10] Zur Eintragung von Freibeträgen.[11] OLG Nürnberg, Urteil vom 7. Dezember 2000 – 10 WF 4068/00 – NJW-FER 2001, 177.[12] Vgl. Palandt-Diederichsen, BGB Kommentar, 61. Auflage 2002, § 1605 Rdnr.4 m.w.N.[13] So AG Rüsselsheim, Urteil vom 27. November 1984 – 7 F 262/84 – FamRZ 1985, 605.[14] Ausführlich hierzu: BGH, Urteil vom 25. November 1987 – Ivb ZR 96/86 – NJW 1988, 1965.[15] Z.B. § 16 HDSG.

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